Ruth konnte sich noch
nicht entscheiden. Aber ich habe ja noch Zeit, dachte sie sich.
Der
Weg würde noch ein paar Minuten dauern. Sie hatte also keine Eile. Mit Entscheidungen tat
sich Ruth häufiger schwer. Während sie so ging,
dachte sie: Es gibt ja meist für beide Seiten gute Argumente und die
wollen erst gegeneinander abgewogen sein. Die Entscheidung soll ja
gut überlegt, nicht blindlings erfolgen. Ich will ja keine
Fehlentscheidung treffen! Einige Fehlentscheidungen kann man
natürlich rückgängig machen, bei anderen bleibt einem wenigstens
Schadensbegrenzung, doch bei manchen muss man die vollen Konsequenzen
tragen. Diese Verantwortung sich selbst gegenüber machte es ihr
nicht gerade einfacher.
Ruth hatte sich
kürzlich mit ihrem Bekannten Mirko genau darüber unterhalten. Der
war der Meinung, es sei wichtig in jedem Fall eine Entscheidung
schnell zu treffen und dann dazu zu stehen. Denn wer selbst keine
Entscheidung trifft, für den tuen es andere, dann aber eben zu ihrem
Vorteil. Das sei besonders im Krieg zu beobachten. Auf eine gewisse Art
hatte Ruth diese Auffassung imponiert. Doch ihr Ding war das eben
nicht. Wenn sie jetzt nochmals darüber nachdachte, fand sie diese
Auffassung auch gar nicht mehr so bewundernswert. Sie dachte sich:
Erstens ist ja kein Krieg. Zweitens kann dieses spontane, unüberlegte
Entscheiden unabsehbare Konsequenzen mit sich bringen. Außerdem
erschien ihr dieses „unbedingt entscheiden wollen und müssen“
inzwischen auch als Folge des unzeitgemäßen „ein richtiger Mann
sein wollen und müssen“. Also eine neurotische Zwangshandlung, der
patriarchalischen Erziehung entspringend. Daher auch Mirkos Bezug auf
den Krieg. Gut, sie kannte Mirkos Vater und Familie nicht so gut,
dass sie sich da ein Urteil erlauben durfte. Und wenn andere für
einen entschieden, bedeutet das ja nicht immer nur Nachteile, man ist
dann auch in gewisser Weise vom Entscheidungszwang befreit.
Überhaupt, oft genug kam es vor, dass profilierungssüchtige Männer
über unwichtige Entscheidungen lange diskutierten und sogar
stritten, während Ruth sich da lieber raus hielt, da ihr der
allgemeine Frieden oft wichtiger war. Und das fand Ruth nun wirklich
wichtig, dass man zum Wohle Aller die eigenen egoistischen Interessen
auch mal zurückstellen konnte. Das war eine
Eigenschaft an ihr, die sie selbst sehr schätzte und als Stärke,
nicht als Schwäche sah! Wenn man selbst nicht
entscheidet, entscheiden ja auch nicht immer die anderen, sondern
eben mal der Zufall, oder die Bestimmung.
Offen für was Neues sein.
Sich auch mal überraschen lassen können! Oder sich aber Rat
beim Fachmann suchen. Man kann sich ja auch für etwas entscheiden,
was von anderen schon für gut befunden wurde.
Ruth war einem
Expertenrat nicht grundsätzlich abgeneigt. Es fing an zu
tröpfeln, Ruth ging ein bisschen schneller. Nur noch ein paar
Schritte, dann war sie an ihrem Ziel. Sie fragte: Was
empfehlen sie? Die Verkäuferin
sagte: Zitrone, sauer macht lustig! Ruth kaufte zwei
Kugeln Zitroneneis und fragte sich dann auf dem Rückweg, warum sie
nicht wie immer Vanille genommen hatte, das ihr eben doch am besten
schmeckte.
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